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Tag 12: Padrón - Santiago de Compostela

  • Mandy
  • 27. Apr. 2022
  • 4 Min. Lesezeit
Nur wer über mehr Willen als Intelligenz verfügt oder über mehr Impulsivität als Verstand, kann teilhaben am wirklichen Leben der Welt. (Fernando Pessoa)

Ich wache frühmorgens auf. Heute erreiche ich den Zielort des Caminho Portugues. Ich bin gespannt und gleichzeitig habe ich seit ich in Spanien bin Saudade de Portugal. Es klingt vielleicht merkwürdig, aber ich freue mich morgen zurück nach Porto zu kommen. Ich fühle mich in Spanien einfach nicht wohl. Wie ich auf einigen Reisen festgestellt habe, liegt das vorallem an den Menschen und den Orten, auf die man trifft. Zuhause kann überall auf der Welt sein. Es hat sehr viel mit Wohlfühlen zu tun.

Ich bin sicher, dass das ein sehr individuelles Empfinden ist. Der Zeitpunkt meiner Reise spielt sicher auch eine Rolle. Mein Fazit würde anders ausfallen, hätte es in Spanien weitere herzzerreißende Begegnungen gegeben wie in Portugal.

An dieser Stelle muss ich von Pedro erzählen. Pedro ist ein rüstiger alter Spanier, der ein Pilgercafé in Padrón führt, an dem man auf dem Weg nach Santiago de Compostela vorbeikommt. Er steht meist vor seinem Café um jeden einzelnen Pilger zu begrüßen, ihn hereinzubitten und ihn mit abrazar y besar und den allerbesten Wünschen wieder auf den Weg zu schicken. Kaum ein Pilger oder Wanderer kann seiner herzlichen Einladung widersprechen. Auf der Suche nach einem Café zum Frühstücken kehre ich gerne bei ihm ein. Zum Café con leite bietet er mir ein Stück Tarte de Santiago an. Allerdings war ich gerade an einem Marktstand vorbeigekommen, der direkt vor der Unterkunft aufgebaut wurde und habe einen halben trenza de pascua española erstanden. Einen Hefezopf mit Nußfüllung. Meine Laune für den letzten Tag des Weges heitert sich allerdings merklich auf. Ich laufe weiter zum Busbahnhof. Da treffe ich nach kurzer Zeit auf zwei junge Spanier, die in Santiago de Compostela studieren und abends bei einer Freundin auf einer Party waren. Sie erzählen mir, sie würden zum Feiern immer nach Padrón fahren. Sie sind beeindruckt, dass jemand mit einem so kleinen Rucksack die ganze Strecke von Portugal zurücklegt. Einer von ihnen versucht sich wachzuhalten, in dem er sein rudimentäres Englisch an mir erprobt, was dem anderen sichtlich unangenehm und peinlich ist. Er spricht fließend und wiederholt fast alles noch einmal, damit ich es verstehe. Ich amüsiere mich köstlich. Die beiden Herzchen tun mir leid. Es ist sehr frisch - wir haben alle keine ausreichend warme Jacke an und irgendwie ist der erste Bus, zu dem wir pünktlich vor Ort waren, nicht angekommen. Zum Glück fahren hier sonntags zahlreiche Busse nach Santiago de Compostela. Wir warten also noch 45 min länger. Ich erfahre, dass heute Domingo de Ramos (Palmsonntag) ist, die Semana Santa beginnt und ich mir unbedingt einen der vielen Prozessionen anschauen muss. Jede Gemeinde in der Stadt zieht dann mit der übergroßen Reliquie eines Heiligen mit musikalischer Begleitung auf unterschiedlichen Routen durch die Stadt. Ich bin gut gelaunt.

Als der Bus in Santiago de Compostela einfährt, sehe ich von weitem zahlreiche Pilger in Gruppen. Sie laufen den gleichen Weg, den der Bus in die Stadt hineinfährt und ich bin erleichtert, dass der nicht so einladend ausschaut wie gedacht. So bereue ich nicht, die kompletten 25 km nicht zu Fuß zurückgelegt zu haben. Stattdessen schaue ich kurz auf den Stadtplan und gehe los. Das große Graffiti an einer Hauswand entspricht meinem Gemütszustand und ist eine Abwechslung im vielen Grau. Als die Häuser schöner werden und ich auf eine wunderschöne Parkanlage treffe, sehe ich von Weitem die Kathedrale. Sie ist natürlich auch mein erstes Ziel, wobei ich versuche den vielen Tagestouristen aus dem Weg zu gehen und lieber im Zickzack durch die Gassen schlendere. Ich höre auch schon Musik und denke sofort an eine Prozession. Auch die Dudelsackmusik, die ich ein paar Straßen weiter immer lauter höre, gehört zum Erlebnis der Zielerreichung wie es in Wander- oder Pilgerführern und Reiseblogs immer beschrieben wird. Ich gebe der Musizierenden ein paar Münzen und mache ein Foto. Tränen bahnen sich den Weg. Ich weiß nicht, ob vor Glück diese irgendwie absurd erscheinende Reise geschafft zu haben oder aus Erleichterung, dass es vorbei ist. Abbrechen war keine Option. Meine Neugier war stärker, nach den vielen Monaten der Planung wollte ich die ausgewählten Orte besuchen. Im Nachhinein weiß ich nicht mehr wieso. Vielleicht lehrt es mich eine Lektion in Wertschätzung. Ich begreife noch einmal mehr, dass es überwiegend die Menschen sind, mit denen man sich umgibt, die dazu beitragen, dass es einem gut geht. Grundlegend bleiben für mich: leckeres Essen und Trinken. Unverzichtbar sind Kunst und Design. Dazu zählen auch mittelalterliche Baukunst und Handwerkstraditionen. Ich vermisse die Gelegenheit Forró zu tanzen und frage mich ernsthaft, wieso am Karfreitag immer ein Tanzverbot herrscht. Kann Tanz nicht ein Ausdruck von Trauer und Freude sein. Übersetzt Tanzen nicht ohne Worte viel mehr als wir mündlich ausdrücken würden. Wie schön wäre es, vor der Kathedrale mit ein paar anderen Forró zu tanzen. Nachdem ich meinen Rucksack zur Unterkunft gebracht habe, finde ich ein Lokal in dem ich zum Abschied von Spanien noch einmal eine Tortilla esse. Die Mitarbeiter sind sehr nett. Ich bemerke, das hier ist eigentlich ein Musikclub und nachts wird Live Musik gespielt und getanzt. Zahlreiche Plakate und Fotos an den Wänden belegen die langjährige Geschichte des Ortes. Schön, dass ich es entdeckt habe. Am Nachmittag erkunde ich noch weiter die vielen kleinen Gassen und kehre ab und zu ein. Ich trinke noch einmal ein Glas Ribeiro und genieße trotz der kühlen Temperaturen die Sonne.


 
 
 

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Fußnote

Wenn das Herz denken könnte, würde es stillstehen. (Fernando Pessoa) Ich habe tatsächlich abgeschaltet. Im Nachhinein überwiegen...

 
 
 

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